Schlachtrufe aus dem HipHop Keller

Superstars wie Eminem verdienen heute Millionen – doch die Wurzeln des Hip-Hops liegen im Ghetto. In den Siebzigern waren Raps, Graffiti, Breakdance und Ding für Jugendliche der Bronx ein Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit. 

Chip Shearin war nervös, als er im Herbst 1978 im “Sugarhill Studio” des Städtchens Inglewood, New Jersey, zu einer Aufnahmesession erschien. Der Auftrag, den der Musiker von der Produzentin Sylvia Robinson erhalten hatte, klang merkwürdig: Für einen Song namens “Rappers Delight” sollte er 15 Minuten lang unverändert ein Fragment einer Basslinie spielen, die aus einem anderen Lied geklaut war: “Gold Times” von der Disco-Band Chic. Doch das Seltsamste waren die Bemerkungen der Produzentin zu den “Sängern” des Stückes: “Ich hab da diese Jungs, die werden richtig schnell zu der Musik sprechen; besser kann ich’s nicht beschreiben”, erinnerte sich Shearin im März 2010 auf newsobserver.com an Robinsons Worte.

Und tatsächlich sangen die jungen Herren, die wenig später im Studio auftauchten, keine Sekunde lang. Ein Junge namens Michael Wright, der sich “Wonder Mike” nannte, begann stattdessen, rhythmisch Kauderwelsch ins Mikro zu brabbeln: “I said a hip hop / The hippie, the hippie / To the hip hip hop ah you don’t stop.” Ein anderer redete hinterher: “I’m the C-A-S an’ the O-V-A / And the rest is F-L-Y. / I’m the Grandmaster with the three MCs / That shock the house for the young ladies.” Dabei war sein Künstlername nicht “Casanova Fly”, sondern “Big Bank Hank”, und in seiner Band waren nur zwei andere Rapper, nicht drei. Doch obwohl der Text nicht den geringsten Sinn ergab, klang das Ganze neu und aufregend, der rasende Groove der Worte vermischte sich mit dem des Schlagzeugs.

Als die Single “Rappers Delight” im Januar 1979 erschien, katapultierte sie Hip-Hop, die Straßenkultur der ausgegrenzten Schwarzen, mit einem Schlag ins Scheinwerferlicht: Sie wurde die erste Rap-Single in den US-Charts, die erste Hip-Hop-Platte, die Gold einspielte. Mit ihrem Hit lautete die Sugarhill Gang den Boom ein, der ab den achtziger Jahren MCs, Sprayer, Breakdancer und DJs zu Pop-Ikonen machen sollte. Der Look und Sound der Großstadtghettos wurde durch sie bekannt, der Hip-Hop durch sie erst richtig hip. Dabei kam keiner der drei gecasteten Rapper aus dem Ghetto der Großstadt – sondern alle aus dem 20.000-Seelen-Nest Inglewood am Hudson River. Die wahre Wiege der Musik, die mit dieser Boygroup maßen kompatibel vermarktet werden sollte, lag acht Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Flusses – in der New Yorker Bronx.

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Das Stadtidyll wird abgefackelt

Wer von Inglewood aus nach New York fährt, Überquert den Hudson River Über die dauerverstopfte Autobahnbrücke des Cross Bronx Expressway. Eine Strafe, die Geschichte schrieb als erster Highway, der durch ein dicht bevölkertes Großstadtgebiet, die Bronx, gebaut wurde. Für das Viertel hatten die von 1948 bis 1963 andauernden Bauarbeiten katastrophale Auswirkungen: Sie verscheuchten die bürgerliche Bevölkerung des einst beschaulichen Stadtteils und trieben Hausbesitzer dazu, ihre unvermeidbar gewordenen Wohnblöcke abzufackeln. Als die Stadtverwaltung schließlich auch noch Polizei und Krankenhäuser aus dem Viertel abzog, verkam es vollends zum Ghetto. Gangs Übernahmen die Herrschaft Über die Straßen, die hübschen Altbauten wurden durch Sozialbaufestungen ersetzt.

Hochhäuser wie jenes in der Sedgwick Avenue 1520, direkt neben dem Cross Bronx Expressway gebaut. Ein hässlicher, brauner Wohnungsklotz, der am Rande der Megaautobahn in den Himmel ragt. Und der Ort, an dem am Abend des 11. August 1973 der Hip-Hop geboren wurde. Fast 6 Jahre bevor “Rappers Delight” die Hitparaden stürmte.

In dem Haus wohnte der damals gerade 18-jÄhrige Clive Campbell mit seiner Schwester und seinen Eltern. Einige Jahre zuvor waren Clive, den seine Freunde wegen seiner grooven Statur “Herkules” nannten, und seine Familie aus Jamaika eingewandert. Während seiner Kindheit war Clive von den im karibischen Inselstaat beliebten DJs tief beeindruckt gewesen, die mit mobilen Beschallungsanlagen, ihren “Soundsystems” umherreisten und Überall die Massen zum Tanzen brachten. Und so kaufte Clive sich bald ein eigenes Soundsystem – auch, wenn das nur aus zwei Plattenspielern und einem Gitarrenverstärker bestand. So hielt er im Partykeller des Wohnblocks regelmäßig Partys ab. Dabei feuerte er die Tanzenden wie seine jamaikanischen DJ-Vorbilder mit dem “Toasten” an, einem Sprechgesang aus Partyschlachtrufen wie “To the Beat Yayla!” oder “You don’t stop!”.

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“Ich wollte die Mädchen beeindrucken”

Eigentlich wollten Clive, der sich nun “DJ Kool Herc” nannte, und seine Schwester Cindy am Abend des 11. August nur ein bisschen Geld verdienen. Sie nahmen Eintrittsgeld für ihre Haus-Party, für die sie mit selbstgemachten Flugblättern geworben hatten: Mädchen mussten 25 Cent, Jungs 50 Cent bezahlen. Ihre Mutter servierte Snacks, der Vater besorgte Getränke, und Clive sollte Platten auflegen. Er hatte sich jedoch für diesen Abend einen ganz besonderen Trick ausgedacht: Ihm war aufgefallen, dass die Tänzer während der kurzen Instrumentalpassagen von Liedern, in denen der Rhythmus in den Vordergrund trat, den “Breaks”, besonders leidenschaftlich tanzten. Also legte er auf seine beiden Plattenspieler zweimal die gleiche Platte. War der Break des Stückes auf der einen Platte abgelaufen, ließ er ihn Übergangslos auf der anderen Platte wieder von Anfang an starten. So konnte er den ganzen Abend lang nur die beliebtesten Teile der Songs spielen.

Clives Trick funktionierte: Die Tänzer drehten richtig auf. Und während “DJ Kool Herc” mit seiner neuen Technik Songhöhepunkt an Höhepunkt reihte, sprang sein Freund “Coke La Rock” ans Mikrofon und begann, im Rhythmus der Musik zu sprechen. Erst habe er nur die Namen all ihrer anwesenden Freunde aufgesagt, erinnerte sich La Rock 2008 im Interview mit dem “New York Magazine”: “Dann tat ich so, als hätten die Typen ihre Autos falsch geparkt; damit wollte ich die Mädchen beeindrucken.” Er gibt zu: “In Wahrheit wollte ich da nicht rappen, ich hab nur rumgealbert.” Doch der Partygagste eine Welle aus: Gäste, die an jenem Abend auf der Party mitfeierten – junge Männer mit Rufnamen wie “Grandmaster Flash”, “Afrika Bambaataa” oder “Grandmaster Caz” – ahmten die Aufführung von DJ Kool Herc und Coke La Rock nach – und brachten damit die Hip-Hop-Bewegung ins Rollen.

Der kürzlich erschienene Bildband “Born in The Bronx” dokumentiert die kreative und soziale Revolution, die Kool Hercs Auftritt im Partykeller auslöste: Er zeigt DJs, die sich nach Hercs legendärem Auftritt im Partykeller bemühten, seine Tricks abzuschauen und zu erweitern – wie Grand Wizzard Theodore, der das “Scratching” erfand, bei dem die Platte vor- und rückwärts gegen den Tonarm bewegt wird. Stolz posiert er in dem Buch mit den MCs der Gruppe Fantastic Romantic Five vor dem Cross Bronx Expressway, jener Stadtautobahn, die das Viertel zum Ghetto verkommen ließ. Zugleich zeigt der Band das Elend der Bronx – ausgeweidete Autowracks vor Bauruinen, Kinder, die durch Müll auf den Straßen waten, gelangweilte junge Männer, die in den von Gangs beherrschten Straßen herumlungern.

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Superhit mit geklauten Reimen

Und er zeigt den Aufstieg der rappenden MCs von floaten Begleitern der DJs zu Frontleuten der Hip-Hop-Musik. Rapgruppen wie die Cold Crush Brothers, die sich mit anderen Hip-Hop-Gruppen “Battles” lieferten und so – anders, als es damals auf den Straßen der Bronx Üblich war – ihre Kräfte nicht mit Fäusten, Messern und Pistolen mauen, sondern im musikalischen Wettkampf. Ein Bild zeigt die Cold Crush Brothers vor dem wohl legendärsten dieser frühen Battles: 1981 im Club “Harlem World”, wo sie auf die verfeindete Crew Fantastic Romantic Five trafen. Mit finsterem Blick posieren die jungen Männer in feinen Anzügen und mit Spielzeugpistolen in ihren Händen und nehmen dabei bereits all das Gangstergehabe vorweg, das Jahre später bestimmend für die Hip-Hop-Musik werden sollte.

Einer der Cold Crush Brothers, “Grandmaster Caz”, war Gast auf der stilbildenden Party in der Sedgwick Avenue 1520 gewesen, da er nur einen Block neben DJ Kool Herc wohnte. Seine Rap-Gruppe wurde zu einer der beliebtesten frühen Hip-Hop-Formationen der Bronx. Doch ausgerechnet mit seinen bekanntesten Reimen sollte jemand anderes berühmt werden: Im Herbst 1978 trat sein Manager Henry Jackson an ihn heran und fragte ihn, ob er ein wenig in seinen Traumbüchern stäubern dürfe. Caz ließ ihn darin blättern, ohne sich etwas dabei zu denken. Konzentriert blätterte der junge Mann und las Strophen Über Strophen, prägte sich solche ein, die ihm besonders gut gefielen. Etna: “I’m the C-A-S an’ the O-V-A / And the rest is F-L-Y. / I’m the Grandmaster with the three MCs / that shock the house for the young ladies.”

Erst Monate später sollte Caz begreifen, was geschehen war. Als er im Radio die Stimme seines Managers harte, die seinen Text rappte. Nicht als Henry Jackson, sondern als “Big Bank Hank” – Mitglied der Sugarhill Gang, der ersten Superstars des Rap.

(QUELLE)

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